1. August-Ansprache 1997 in Rheinfelden CH

  1. August-Ansprache 1997 von Jean Jacques de Wijs
    in Rheinfelden , Schweiz

Die Schweiz und die SchweizerInnen aus der Sicht eines ‘integrierten’ Ausländers

 

Liebe Mitbürger und Mitbürgerinnen von Rheinfelden,

Es freut mich, dass die Organisatoren der dies-jährigen 1.August-Feier mich für die Fest-Ansprache engagiert haben, um Ihnen einige Impressionen über die Schweiz und die Schweizer zu vermitteln aus der Sicht eines ‘integrierten’ Auländers.

Die ersten 27 Jahre meines Lebens habe ich in den Niederlanden verbracht. Darauf folgte ein Jahr in Strasbourg und darauf 5 Jahre an der Elfenbeinküste, in Abidjan, West-Afrika. Seit 24 Jaren wohne ich in Rheinfelden und arbeite in Basel.

Während einer so langen Zeit in der Schweiz, macht man sich immer wieder Gedanken, und man wird in Staunen versetzt. Ich überlegte, Schweizer zu werden, und ich tat es doch nicht, obwohl ich das ‘Examen’ bestanden habe (Sie können es Herrn Molinari selbst fragen).

Abgesehen von Zeit- und Geld-Hürden, ist es für einen Ausländer psychologisch schwieriger die Schweizer Nationalität anzunehmen als umgekehrt, weil der Ausländer in den meisten Fällen seine Ursprungsnationalität verliert, der Schweizer jedoch nicht.

Sowohl die Schweiz als auch die Niederlande haben sich frei gekämpft von den damaligen Grossmächten. Was die Schweiz betrifft, ist dies im Rathaushof abgebildet, obwohl die Rheinfelder damals noch Österreicher waren. Diese alten Krieger kann ich mir gut vorstellen. Jede Abend kam in Abidjan mich der Nachtwächter abends begrüssen. Er präsentierte sich in voller Afrikanischer Kriegsausrüstung mit Schild, Speer, Pfeil und Bogen. Abgesehen von der Hautfarbe, müssten die alten Eidgenössische Krieger auch so ausgesehen haben.

Was weiss man überhaupt über die Schweiz im Ausland. Eine Begegnung auf einer Autobahnraststätte mit Motorrad-fahrende Holländer spiegelt die wohl gängige Version: Sauberes Land, schönes Land, teures Land, gut organisiert, fleissige Leute mit einer speziellen Demokratie und die Frauen ohne Stimmrecht (noch immer!). Natürlich gibt es auch Leute mit gediegeneren Kenntnissen. Auffallend wenig Information findet man in den Niederländischen Zeitungen über die Schweiz. Vor 2 Jahren fand ich in einer grossen Lokalzeitung (vergleichbar mit der Basler Zeitung) den Bericht, dass Baselland ein Konzept für Velo-Wege entwickelt hatte. Für die Holländer war das erwähnenswert.

Kaum wohnt man in der Schweiz, taucht die Frage auf: Warum haben Sie die Schweiz ausgewählt zum leben. Die auf die Qualitäten seines Landes stolzen Schweizer erhalten die ernüchternde Antwort: Ich suchte eine Stelle und bin hier gelandet, mehr oder weniger durch Zufall und Glück.

Und man macht etwas aus seinem Leben an der Stelle wo man gelandet ist. In erster Linie dadurch dass man die Umgebung (Menschen, Dinge, Abläufe) akzeptiert, wie sie sind und gleichzeitig dadurch, dass man bleibt, wer man ist.

Bezüglich Wohlstand, Organisation, Sauberkeit und Ordnung wurden alle Erwartungen übertroffen, auch für mich als Niederländer. Die Schweizer erlebe ich als freundlich und, hilfsbereit, aber Freunde gewinnen ist nicht so einfach. Man muss selbst aktiv werden um sich hier wohl und integriert zu fühlen. Positive Erfahrungen gibt es dann genug. Ein kleines Beispiel: Verglichen mit der französische Administration arbeiten die Schweizer Behörden mit Lichtgeschwindigkeit.

Als Ausländer sehe ich die Dinge natürlich meistens nicht so wie ein Schweizer Gesprächspartner. Ich kann meine Vergangenheit nicht einfach über Bord setzen. Aber eine langsame Übernahme von Ideen findet statt, sodass ich plötzlich entdeckte, dass ich im Ausland (= NL) in einer Diskussion einen Schweizer Standpunkt verteidigte und das dann auch direkt zu hören bekam.

 

Auch nach 24 Jahren Rheinfelden und sozusagen ‘integriert’, vertrete ich doch noch immer mein Vaterland, die Niederlande. Kaum bin ich in den Niederlanden, vertrete ich also die Schweiz und das tue ich auch sehr gerne. Alpeninitiative und Gütertransport auf die Bahn werden immer kräftig von mir verteidigt. Sogar den Nicht-Beitritt zum EWR. Schlussendlich hat dies mit der direkten Demokratie zu tun.

Der Nicht-Beitritt zum EWR hat auch seine positiven Seiten, welche man erst nachher entdeckt. Noch bis vor kurzem übernahmen einzelne Europäische Staaten eine Vorreiterrolle auf bestimmten Gebieten wie Ökologie oder Energiepolitik. Nun jedoch haben sie im Rahmen der EU weniger Freiheit fortschrittliche Gesetze zu realisieren. Hier hat die Schweiz ihre Freiheit behalten z.B. in Sachen Massnahmen gegen den Strassen-Transport-Wahnsin oder für eine Kohlendioxid-Emissionsabgabe, und könnte dadurch eine wichtige Vorreiterrolle in W-Europa übernehmen. Die Schweiz kann also ein Musterland bleiben.

Ich möchte hier nicht eingehen auf bestimmte, derzeit hochbrisante Themen, welche Sie alle kennen. Es ist jedoch ganz klar dass das ‘Image’ der Schweiz gelitten hat unter diesen Ereignisse.

Der Zuger Schriftsteller Thomas Hürlimann hat vor kurzem gesagt: Der Schweiz geht es zur Zeit miserabel. International sind wir unmöglich, national unwirklich.

Ich hoffe doch, dass die Suppe nicht so heiss gegessen wird, wie sie von Herrn Hürlimann auf gedient wird.

 

Irgendwann stellt man sich selbst die Frage oder man wird gefragt: Gehört dies oder jenes zur Schweizer Eigenart. Dann fallen mir erst Mal Dinge ein, womit man auf irgendeine Art zu tun hatte oder davon gehört hat: 7 Mio Einwohner der Schweiz haben 24 verschiedene Schulsysteme, dito Steuersysteme, dito Sozialsysteme. Es gibt ohne Zweifel weitere Beispiele. Aber haben diese Beispiele etwas mit der Art oder mit dem Charakter des Schweizers zu tun?. Nein doch, höchstens mit dem System worin wir leben. Diese Seiten des Systems kann man unpraktisch, unökonomisch oder asozial nennen für die Menschen. Im Grossen und Ganzen lebt es sich in diesem System jedoch sehr gut.

Machen wir noch Mal einen Versuch die Schweizer Eigenart zu definieren:
Arbeitsam, konsequent, seriös, ernsthaft, ehrlich, freundlich, gut in Organisieren, mit Gefühl für Qualität. Alles schöne, aber doch einigermassen langweilige Eigenschaften. Das allein kann doch nicht das Richtige sein. Andere Adjektive also: optimistisch, humorvoll, dynamisch, chaotisch. Diese werden zwar der Schweizer Eigenart nicht speziell zugeschrieben aber sie stimmen trotzdem für einzelne Personen (ich möchte mich selbst nicht ausschliessen). Leute mit solchen Eigenschaften gibt es in jedem Volk. Es ist also nicht möglich eine Schweizer Eigenart zu definieren, ohne vielen Leuten Unrecht zu tun, indem man die aufregenden Seiten des Charakters streicht.

Liebe Mitbürger(Innen), was kann ich euch als Fazit meiner Erfahrungen in der Schweiz mitgeben? Grundsätzlich gibt es keinen signifikanten Unterschied zwischen Holländer und Schweizern. Es sei denn, das Gespür für ‘Gezelligheid’, was in den Niederländern tief verwurzelt ist und resultiert in das Trinken von vielen ‘kopjes koffie’ wenn man zusammen sitzt. Aber auch ohne diese vielen, geselligen ‘kopjes koffie’ ist es hier gut Leben, Lieben und Lachen.

Wenn Sie noch etwas in diesem wunderschönen Land verbessern möchten, und das ist im besten Föderativen Staat möglich (ich habe vorher ein paar Punkte genannt), dann sollten Sie sich jedoch beeilen. Denn, so schnell und gut die Gesetze hier angewendet werden, so langsam und harzig lassen sie sich anpassen an neue Situationen. Mit einer so tiefen Geburtsrate wie die Schweizer Sie haben, ist es in ein paar hundert Jahren wahrscheinlich gar nicht mehr notwendig die Gesetze anzupassen wegen Mangel an …….. Schweizern.

Ich danke Ihnen, dass sie mir zugehört haben.

 

Jean Jacques de Wijs
Waldhofstrasse 6 -4310 Rheinfelden Schweiz
Tel. Pr.: 061 8316586
Mob.:   078 6911226
Email: jeanjacques@dewijs.ch

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